This is what democracy looks like!

(Es sind StuRa-Wahlen. Deshalb: Wählt uns (die kleinen Strolche)!)

Und wieder passiert viel. Oder zumindest etwas. Oder teilweise auch nichts. Oder halt vollkommener Blödsinn.

Fangen wir gleich mit dem größten Brocken an: der Liberalen Hochschulgruppe (LHG). Seit die Junge Union an der Universität faktisch aufgehört hat, politisch zu existieren (die Präsenz auf Stura-Sitzungen geht seit einiger Zeit gegen Null und in diesem Wahlkampf hat es nicht einmal mehr für die Standardflyer mit den bundesweiten Standardthemen Mensa, Bibliothek, Semesterticket gereicht) füllt die LHG die Rolle der reaktionären Speerspitze enthusiastisch aus.
Und wie im letzten Jahr kommen da einige Knaller bei rum. Leider wenig in Form öffentlicher Wahlwerbung (ob physisch oder digital), die wird lieber über private Kanäle in den sozialen Medien gemacht. Für Student*innen außerhalb der eigenen Blase sichtbar zu sein genießt anscheinend weniger hohe Priorität als die Organisation von Verkaufsveranstaltungen eher halbseidener Ticker von eher semiseriösen Versicherungs- und Finanzprodukten [1].
Das was an Wahlkampf doch noch stattfindet ist dann (beinahe erwartungsgemäß) der alte Quatsch nochmal lauwarm serviert. Digitalisierung klingt gut, das kann wiederverwendet werden. Zumindest kann man der LHG hier nicht den Vorwurf machen, nicht konsequent zu sein, existiert sie als politische Kraft doch fast nur noch im Internet. Die Anstrengungen die unternommen worden sein müssen, als zweitgrößte Fraktion im Stura auf gleich mehreren Sitzungen ohne einzige Person anwesend zu sein sind nicht zu unterschätzen.
Auch das Streaming von Vorlesungen klingt gut, das kann ebenfalls inklusive des halbgaren Bettgeschichtenwitzchens wiederverwendet werden, diesmal zusätzlich mit dem Hinweis darauf, dass man sich dann nicht mehr aus dem Bett oder der Hängematte begeben müsste [2]. Was erstmal nach schöner Abwechslung von Leistung, Leistung, Leistung klingt bedeutet im Rahmen der gegebenen Verhältnisse das Gegenteil. Die fortgesetzte Aufweichung der Grenzen zwischen Arbeit, Studium und Freizeit geht immer auf Kosten letzterer, wenn noch der Müßiggang in Wert bzw. Leistungspunkte gesetzt werden (noch: können) muss. Dass die Hängematte nur halb so schön ist, wenn sie zum Arbeitsplatz wird, wird unter der Ideologie der immer weiteren Selbstoptimierung, Selbstvermarktung und schließlich Selbstausbeutung nicht gesehen. Vielmehr wird der Einmarsch des Zwangs in die Welt des Mal-Nicht-Müssens noch bejubelt.
Passend dazu sollen studentische Gelder genutzt werden, um die organisierte Selbstausbeutung von Student*innen zu unterstützen, von der LHG als Start-Up-Förderung glorifiziert [3]. Warum die Studierendenschaft überhaupt private kommerzielle Unternehmen fördern und finanzieren sollte wird natürlich nicht begründet, wozu auch.
Schließlich gilt das Interesse der LHG auch überhaupt nicht der Studierendenschaft und den Student*innen, sondern dem „Unistandort“ [2]. Die Unterordnung individueller und kollektiver Interessen unter ein vorgebliche Interessengegensätze überbrückendes Ganzes ist bereits völlig internalisiert. Deutlich wird das bei der Forderung des 2. Vorsitzenden dieses Witzvereins, Gruppen und Initiativen, die „gegen die Uni arbeiten“ die Finanzierung zu entziehen [4]. Dass Student*innen und Universitäten trotz ihrer Verbindung durchaus oft gegenläufige Interessen haben (wie etwa, sagen wir mal, Lohnabhängige und ihre Chefs), kommt ihm dabei wohl nicht in den Sinn. Sei es bei Studienbedingungen, Schließung von Studiengängen (hallo, Kunstgeschichte), Ausstattung der Bibliotheken und Studiumshetze.
Nun fallen Liberale Hochschulgruppen im Allgemeinen nicht dadurch auf, dass sie sich gegen die Vermarktlichung von Bildung und Wissenschaft und gegen die immer schärfere Konkurrenz um die benötigten Drittmittel stellen würden. Gerade diese zwingen die Hochschulen aber dazu, die Interessen von Studierenden immer weniger zu berücksichtigen [5]. Die Zielrichtung muss also nicht sein, als Student*innen die Arbeit der Universität und ihrer Marketingabteilung zu leisten, sondern die kapitalistischen Verhältnisse anzugreifen, die einen Keil zwischen uns, tatsächliche Bildung, die über bloße Erziehung zur Verwertbarkeit hinausgeht, und ein selbstbestimmtes Leben treiben.
Da eben diese Verhältnisse für die LHG allerdings sakrosankt sind, ist leider nicht damit zu rechnen, dass sie sich dem anschließt. Vielmehr naturalisiert sie die Zumutungen der kapitalistischen Produktion, der Ausbeutung von Mensch und Natur, als unhintergehbar und vollkommen frei von menschlichem Einfluss und propagiert ihre Zuspitzung. In diesem Rahmen von „ideologiefreier“ Politik zu sprechen hat zwar ein gewisses humoristisches Potential, weist aber vor allem daraufhin, dass die Liberalen mal wieder keine Ahnung haben, wovon sie eigentlich reden (wie zum Thema Extremismus, aber dazu haben wir bei [6] schonmal mehr geschrieben). Nun muss wirklich nicht unbedingt ein marxistisches Verständnis von Ideologie als falschem Bewusstsein in der jeweiligen ökonomischen Ordnung zugrunde liegen, um die Behauptung, die aktive Verteidigung der kapitalistischen Produktionsweise sei keine Ideologie (sondern „gesunder Menschenverstand“ [3]), als vollkommen lächerlich zurückzuweisen. Andererseits lässt es schon tief blicken, dass ausgerechnet selbsterklärte Liberale eine spezifische Form des menschlichen Zusammenlebens als natürlich betrachten und die Möglichkeit einer Gesellschaft, die nicht auf Ausbeutung, sondern auf Bedürfnisbefriedigung basiert, als ideologisch, mithin als verblendeten Irrsinn, klassifizieren [7]. Würden sie dieses Denkmuster bei anderen Menschen in einer anderen Gesellschaft erkennen, würden sie es vermutlich (nicht zu Unrecht) totalitär nennen.
Nun sind die Menschen von der LHG aber nicht nur Freund*innen der Totalität des Kapitalismus, sondern auch Demokrat*innen. Solange also die Eigentumsfrage in Bezug auf die Produktionsmittel nicht gestellt wird, sind sie durchaus aufgeschlossen für andere Meinungen. Besonders aufgeschlossen für den menschenfeindlichen Müll, der immer offener durch Kaltland marschiert. Herausragendes Anliegen der LHG scheint es nämlich zu sein, den FaschistInnen, AntifeministInnen, NationalistInnen, RassistInnen, AntisemitInnen und christlichen FundamentalistInnen der AfD die Tore der Universität weit aufzureißen, um … ja warum eigentlich? Um „alle[n] im Bundestag vertretenen Parteien […] das Recht“ [4] zukommen zu lassen, ihre Inhalte zu verbreiten, völlig ungeachtet dessen, was diese Inhalte und ihre Verbreitung bedeuten würden. Was gut daran sein soll, AntidemokratInnen, die schon im Vorhinein eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ und den „Verlust“ großer Teile der Bevölkerung für ihren Machtantritt in Aussicht stellen, aktiv ein Podium zu bieten, wissen vermutlich nicht mal einigermaßen reflektierte Demokrat*innen, die Demokratie nicht nur als formalen Prozess begreifen.

Achja, andere Demokrat*innen. Was machte eigentlich der Rest?
Die lieben Freund*innen von den Powerpuffgirlz* sind weiterhin super.
Die Jusos haben einen Tag vor der Wahl bemerkt, dass diese wirklich stattfindet und eine Facebookveranstaltung angelegt, in der halbe Sätze mitten in der Beschreibung stehen [8]. Und inhaltlich? Die Jusos sind halt Sozialdemokrat*innen. Preiserhöhungen in der Mensa sollen durch studentische Gelder niedrig gehalten, also aus der linken und nicht aus der rechten Tasche der Student*innen gezahlt werden. Wie bei der Forderung nach mehr Kaffeeautomaten aus dem letzten Jahr, um gestresste Student*innen schön auf Koffein zu halten, zielen sie mal wieder weit am Problem vorbei. Statt sich des Problem des finanziellen und Leistungsdrucks, der auf Student*innen und dem Studierendenwerk lastet anzunehmen, werden bloß die Symptome ins Visier genommen, die nichtmal beseitigt werden sollen, sondern ein bisschen weniger beschissen eingerichtet.
Die Grüne Hochschulgruppe scheint ebenfalls gehört zu haben, dass Wahlen stattfinden, schließlich treten sie mit einer Liste an und gerüchteweise wurde auch ein Plakat von ihnen gesehen.
Spaß und Geselligkeit halten sich mit Ausnahme eines Spieleabends ebenfalls vornehm zurück.
IRFAN existiert weiterhin nahezu ausschließlich in der islamischen Theologie und sumpft weiter in einem türkisch-nationalistischen Umfeld vor sich hin.
Dorsche und Fleische scheinen tatsächlich zu existieren, letztere verteilen sogar Flyer gegen „den Irrsinn“, welcher auch immer das sein mag.
Von der Linken.SDS wurde immerhin auch ein Plakat gesehen.

This is what democracy looks like.


[1]: Dazu aus der FAZ, dem alten antikapitalistischen Kampfblatt: https://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/sparen-und-geld-anlegen/finanzvertriebe-ueberreden-studenten-zu-ueberteuerten-versicherungen-16441441.html(ist leider hinter einer Paywall, aber ein Zitat wollen wir euch nicht vorenthalten: „Versicherungsvertreter sprechen abfällig von der Dreischrittmethode: Anhauen, umhauen, abhauen.“ Charmant.)
[2]: https://lhg-osnabrueck.de/wahl-zum-studierendenrat/unsere-themen/digitalisierung/
[3]: https://lhg-osnabrueck.de/wahl-zum-studierendenrat/unsere-themen/studienqualitaet/
[4]: https://www.instagram.com/rdesilva_julis/(inzwischen leider privat, möglicherweise ist der betreffende Beitrag auch gelöscht worden, Screenshots sind auf Anfrage aber natürlich vorhanden #zwinkersmiley)
[5]: Zu der Thematik zitieren wir mal aus unserem Sturaflyer: „Außerdem stellen wir [also die kleinen Strolche] uns gegen die von staatlichen Zwangsmaßnahmen unterstützte fortschreitende Durchsetzung marktwirtschaftlichen Denkens und Handelns in Wissenschaft und Bildung. Diese fördert die allgemeine Ausrichtung der Forschung auf einzuwerbende Drittmittel, durch die Hochschulen immer weiter gesamtgesellschaftlichen Verwertungslogiken unterworfen werden. Kritische Forschung an Hochschulen, und daran hängend auch kritische Lehre, wird dadurch zunehmend marginalisiert.“
[6]: https://kleinestrolche.wordpress.com/2019/06/25/extremismus/
[7]: Im Manifest der kommunistischen Partei ist die ahistorische bürgerliche Vorstellung von der kapitalistischen Produktion bereits ziemlich gut dargestellt: „Die interessierte Vorstellung, worin ihr [die Bourgeoisie und ihre Freund*innen, in diesem Fall die LHG] eure Produktions- und Eigentumsverhältnisse aus geschichtlichen, in dem Lauf der Produktion vorübergehenden Verhältnissen in ewige Natur- und Vernunftgesetze verwandelt, teilt ihr mit allen untergegangenen herrschenden Klassen. Was ihr für das antike Eigentum begreift, was ihr für das feudale Eigentum begreift, dürft ihr nicht mehr begreifen für das bürgerliche Eigentum.“
[8]: https://www.facebook.com/events/2562847704004396/

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